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Kontingentflüchtlinge, d. h. russische Juden, die neben dem Russischen auch teilweise Kenntnisse

einer jiddischen Varietät aufweisen können. Seit 1990 sind aus den Staaten der ehemaligen

Sowjetunion ca. 200 000 Personen mit jüdischem Migrationshintergrund nach Deutschland

eingewandert . Im Projekt Migrationslinguistik, das im Folgenden vorgestellt werden soll, steht die

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Zuwanderungsgruppe der deutschstämmigen Aussiedler im Mittelpunkt . Untersucht wird die

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Gruppe der Dialekt sprechenden erwachsenen Aussiedler, deren Repertoire bei der Einreise eine

deutsch-dialektale Varietät aufweist. Dabei handelt es sich vor allem um Zuwanderer, die aus

deutschen Sprachinseln stammen, ihren Sprachinseldialekt beherrschen und ihn bis zur

Auswanderung aktiv in der Kommunikation einsetzten. Gerade Anfang der 1990er Jahre begann die

massive Auswanderung aus den deutschen Sprachinseln Sibiriens und Kasachstans, die dazu führte,

dass sich in nur einem halben Jahrzehnt fast die gesamte deutsche Sprachinsellandschaft der

ehemaligen Sowjetunion durch Abwanderung der Sprecher aufgelöst hat . Mit dieser

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Einwanderungswelle sind in der ersten Hälfte der 1990er Jahre russlanddeutsche Familien nach

Deutschland zugezogen, in denen nicht nur die Vertreter der älteren Generation kompetente

Dialektsprecher waren. Auch bei der mittleren Generation und den jungen Eltern aus deutschen

Sprachinseln war ein russlanddeutscher Dialekt zum Zeitpunkt der Auswanderung als ingroup-

Varietät noch fester Bestandteil des Sprachrepertoires. In sprachlicher Hinsicht sind Dialekt

sprechende Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion – entgegen der in der Migrationsforschung

bisweilen vertretenen Meinung (vgl. Currle 2006) – als »Remigranten« zu betrachten, obwohl sie

nicht selbst, sondern ihre Vorfahren vor 200 Jahren aus Deutschland ausgewandert waren. Als

solche sind sie mit einer differenzierten, etwas anders gestalteten Migrationsproblematik

konfrontiert. Es zeichnet sich hier nämlich sehr deutlich ein in gewisser Weise doppelter

Migrationshintergrund ab. In Bezug auf die Herkunftssprache Russisch sind Aussiedler

fremdsprachige Einwanderer wie andere Migrationspopulationen auch. Die Staatssprache des

Auswanderungslandes war die offizielle Kommunikationsvarietät des öffentlichen Verkehrs, die

Schul- und Bildungssprache sowie die Schriftsprache. Nach der Einwanderung prägen

Sprachkontakte der russischen Herkunftssprache mit dem Deutschen in Deutschland

(Standardsprache und Regionalsprachen) die sprachlich-kommunikative Realität der Aussiedler.

Hier zeigen sich viele Parallelen und Ähnlichkeiten zu anderen Migrantengruppen in Bezug auf

die sprachliche Migrationsproblematik und Integration (Sprachkontakte des Russischen mit dem

Deutschen des Einwanderungslandes).

Andererseits ist bei Aussiedlern durch ihre Herkunft und Dialektkompetenz auch ein

deutschsprachiger Migrationshintergrund vorhanden. Dadurch entstehen einige Unterschiede zu

anderen Migrantengruppen und – umgekehrt – einige Ähnlichkeiten zu »innerdeutschen

Migranten«, z. B. zu den bereits gut untersuchten »sächsischen Übersiedlern« (vgl. z. B. Auer

et al. 1996). Es sind dies die neuartigen Varietätenkontakte, und zwar der mitgebrachten

russlanddeutschen Varietät zur deutschen Standardsprache und zu regionalen Varietäten des

Deutschen, die bei anderen Einwanderungsgruppen (ohne Dialektkenntnisse) in Deutschland in

dieser Weise nicht auftreten. Aber gerade weil ein deutscher Dialekt ein Teil der mitgebrachten

Sprachkompetenz der Aussiedler ist, ergibt sich auch ein eigenartiges Problem, das von Aussiedlern

nach einiger Zeit des Aufenthalts in Deutschland wahrgenommen und thematisiert wird.

Die Problematik besteht darin, dass bei den Zuwanderern keine Klarheit über die Familiensprache

bestand – bzw. darüber, welche Sprache diese Funktion erfüllen sollte. Die frühere Familiensprache

(vor der Auswanderung aus Russland) war der russlanddeutsche Dialekt. In Deutschland möchte die

Familie nicht mehr mit den Kindern mit dem Dialekt anfangen. Aber auch das Hochdeutsche passt

nicht ganz als Familiensprache, das wäre etwas komisch, findet die Sprecherin, und wohl etwas

unnatürlich, wenn sie anfangen würden, Hochdeutsch in der Familie zu sprechen. Dass das

Russische ausgeschlossen ist von dieser Funktion, führt die Sprecherin nicht aus. Sie geht davon

aus, dass es klar ist, warum Russisch in Deutschland für Russlanddeutsche nicht als

Familiensprache in Frage kommt, und resümiert abschließend, dass sie nun gar nicht wissen, wie

sie sprechen sollen. Diese spezifische Konstellation wurde in der bisherigen Forschung kaum

zur Kenntnis genommen. In neueren Veröffentlichungen zur Sprachkontaktsituation von

Aussiedlern werden diese Migranten nahezu immer nur als Zuwanderer mit fremdsprachigem

Hintergrund untersucht. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass Aussiedler über ein

spezifisches Sprachrepertoire bei der Einwanderung verfügen, das folgende Varietäten einschließen

(kann): einen russlanddeutschen Basisdialekt; das Hochdeutsche als im Schulunterricht erworbene

Fremdsprache; eine deutsch-russische Mischvarietät; ethnolektales Russisch; Russisch als

Hochsprache. Durch die spezifische Situation der Re-Migration kommen Aussiedler- Migranten in

eine vergleichsweise komplexe Sprachkontaktkonstellation, die wesentliche Unterschiede zu den

typischen Sprachkontexten nach der Migration aufweist. Sie werden nicht erst mit der Migration

zweisprachig, sondern sie waren bereits deutsch-russische Bilinguale im Herkunftsland. Das

Deutsche war im Sprachrepertoire der Russlanddeutschen allerdings nur durch einen deutschen

Dialekt (und nicht durch die Hochsprache) vertreten. Durch die Einbeziehung der deutschen

Standardsprache, der regionalen Umgangssprachen und der Dialekte der aufnehmenden Region

wird die Sprachkontaktsituation der Aussiedler in Deutschland etwas komplexer. Eine Beschreibung

ohne Berücksichtung dieses spezifischen Sprachhintergrunds wird der Dynamik der

Sprachkontaktsituation der Aussiedler in Deutschland nicht gerecht. Denn in sprachlicher Hinsicht

sind hier nach der Migration ganz anders geartete Veränderungsprozesse zu erwarten als z. B. bei

Zuwanderern mit russischem bzw. russisch-jiddischem Sprachhintergrund. Bei Aussiedlern, die

bereits bei der Einreise aus einem deutschen Dialekt ins Russische wechseln, können verschiedene,

in bestimmter Weise komplexere Prozesse der Sprachentwicklung nach der Migration eintreten. Die

hier wirkenden Faktoren sollten bei der Analyse berücksichtigt werden. So stellt sich z. B. in Bezug

auf Codeswitching – um nur einen Aspekt des deutsch-russischen Sprachkontakts herauszugreifen –

die Frage nach den Strukturen, z. B. nach der Richtung des Code-switching in der Re-

Migrationssituation. Findet hier möglicherweise eine Änderung der Richtung statt , und wenn ja,

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wie verhält sich das z. B. zu dem von Myers-Scotton (1993) festgestellten »turnover« beim Code-

switching? Zweitens stellt sich hier die Frage nach der Rolle der hinzukommenden deutschen

Varietäten, vor allem der deutschen Standardsprache, und zwar die Frage danach, wie sich die

deutsche Standardsprache in das bereits bestehende deutsch(dialektal)-russische Codeswitching

einklinkt. Auch in Bezug auf die deutsche Kompetenz bei der Einreise und die Betrachtung als

Einwanderer mit deutschsprachigem Migrationshintergrund ist bei der Untersuchung eine

differenzierte Herangehensweise erforderlich, denn auch hier liegen relevante Unterschiede zu der

vergleichbaren Gruppe der Innenmigranten vor, die eine wichtige Rolle bei der Integration spielen

können. Das betrifft z. B. die unterschiedliche Gestaltung des Varietätenrepertoires bei

deutschstämmigen Aussiedlern und Umsiedlern innerhalb des deutschsprachigen Raums. Aussiedler

sprechen einen Sprachinseldialekt, d. h. eine basis-dialektale Varietät mit großer linguistischer

Distanz zur Standardsprache. Sie beherrschen nicht die Strategie des Codeshifting in Richtung

Umgangssprache bzw. Standardsprache, da eine standardsprachliche bzw. umgangssprachliche

Varietät bei der Einwanderung nicht zu ihrem Sprachrepertoire gehört.

2. Projekt »Migrationsbasierte Varietäten des Deutschen«

Es ist offensichtlich, dass die Migrantengruppe »Aussiedler« eine differenzierte Herangehensweise

erfordert. In der Abteilung Pragmatik des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim wird

zurzeit ein Longitudinalprojekt durchgeführt, das sich mit der Untersuchung der Sprachproblematik

der Aussiedler beschäftigt (vgl. Anm. 2). Im Mittelpunkt steht die Untersuchung der sprachlichen

Entwicklung nach der Einwanderung über einen Zeitraum von anderthalb Jahrzehnten. Im Projekt

wird gefragt, ob ein Akkommodationsprozess an die deutsche Standardsprache stattgefunden hat,

und wenn ja, welche aussiedlerspezifischen Varietäten durch den langjährigen Sprachkontakt

entstanden sind; ob ein Akkommodationsprozess an die Regionalsprachen und Dialekte des

Deutschen stattgefunden hat, und wenn ja, an welchen Ausschnitten des einheimischen

Varietätenspektrums sich die sprechsprachliche Variation der Aussiedler orientiert. Welche Bereiche

des Sprachsystems (Aussprache, Lexikon, Syntax) dieser Migrationsvarietäten diatopisch markiert

sind; welche Rolle dabei die russische Herkunftssprache der Aussiedler spielt; ob einheimische

Sprachvarianten und -Varietiäten durch den spezifischen ethnolektalen Kontext der Zuwanderer mit

russischsprachigem Migrationshintergrund Modifikationen erfahren, und wenn ja,

welche. Um diese Fragen zu beantworten, wurde eine Longitudinalstudie konzipiert, die den

Sprachgebrauch von russlanddeutschen Sprechern kurz nach der Einwanderung und nach 15 Jahren

Aufenthalt in Deutschland untersucht. Als empirische Vergleichsgrundlage werden Sprachdaten des

»Aussiedlerkorpus verwendet, das in der ersten Hälfte der 1990er Jahre in Nordbaden und im

Saarland erhoben wurde. Im Jahr 2009 wurde eine Serie von Neuaufnahmen mit denselben

Sprechern und gleichem Design durchgeführt (vgl. Tab. 1): Gespräche in der ingroup-Situation;

Gespräche mit Nachbarn, Freunden oder Kollegen aus der neuen Sprachgemeinschaft (mit

Gesprächspartnern vor Ort); Interviews, die von Sprechern der Standardsprache geführt wurden.

Alle Sprecher, mit denen Neuaufnahmen gemacht wurden, waren als

Probanden am IDS-Aussiedlerprojekt (Berend 1998) beteiligt. Sie stammen

aus deutschen Sprachinseln in Sibirien und leben seit 17 Jahren in

Deutschland. Bei der Einwanderung sprachen sie einen russlanddeutschen

Dialekt rheinfränkischer Provenienz und Russisch.

3. Beispiele für Migrationsvarietäten

3.1. »Inseldeutsch«

Das Ziel der folgenden Präsentation ist, einen ersten Überblick über einige Migrationsvarietäten der

Aussiedler zu geben. Dabei k&o

Dettagli
Publisher
A.A. 2016-2017
4 pagine
SSD Scienze antichità, filologico-letterarie e storico-artistiche L-LIN/14 Lingua e traduzione - lingua tedesca

I contenuti di questa pagina costituiscono rielaborazioni personali del Publisher HIlarity90 di informazioni apprese con la frequenza delle lezioni di Germanistica e studio autonomo di eventuali libri di riferimento in preparazione dell'esame finale o della tesi. Non devono intendersi come materiale ufficiale dell'università Università degli studi L'Orientale di Napoli o del prof Leonardi Simona.